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Internationale Jahrestagung in München 2014

"Meister Eckhart - interreligiös"

| Freitag, 28. März
| Sektion I
| Sektion II
| Öffentlicher Abendvortrag
| Samstag, 29. März
| Sektion III
| Sektion IV
| Sektion V
| Sektion VI
| Sonntag, 30. März
| Sektion VII

Fachtagung der Kollegforschergruppe „Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive“ am Max Weber Kolleg der Universität Erfurt und Katholische Akademie in Bayern in Zusammenarbeit mit der Meister Eckhart Gesellschaft.
Verantwortlich: Professor Dr. Dietmar Mieth (MWK) in Verbindung mit Professorin Dr. Christine Büchner, Universität Tübingen/Hamburg und Professor Dr. Markus Enders, Universität Freiburg (Br.).

→ Einige Vorträge sind im zehnten Jahrbuch der Gesellschaft erschienen. Die betreffenden Artikel sind in der Bibliographie erfasst.

Zeit: Freitag, 28. März bis Sonntag, 30. März
Ort: Katholische Akademie in Bayern, Kardinal Wendel Haus, Mandlstr. 23, 80802 München
(Postfach 401008, 80710 München, Tel. 089-381020, Fax 089-38102103)

Vorträge: jeweils 30 Min. anschließend 15 Min. Nachfragen und Diskussion
Poster-Session: Der wissenschaftliche Nachwuchs ist am ersten Tag eingeladen, mit Postern Projekte vorzustellen
Die Unmittelbarkeit der individuellen religiösen Einsicht ist etwas, was alle Religionen prägt. Was ist dabei das Einzigartige, das Meister Eckhart heute zu einem religiösen Botschafter überall in der Welt macht? Der Name „Meister Eckhart“ ist wie ein Schlüssel, der eine andere Form der Kommunikation öffnet, wenn man sich in den Bereich von Religion, religiöser Erfahrung, Spiritualität und Ethik bewegt.

Die Zielsetzung der Tagung ergibt sich aus dieser Beobachtung: „Meister Eckhart – interreligiös“ zu beschreiben, ist eine Aufgabe, die bisher nicht explizit in der Forschung angegangen wurde. Daher erörtert diese Tagung auch die wissenschaftlich verantwortbaren Grundlagen eines interreligiösen Diskurses auf der Basis von historischen Erkenntnissen und konzeptionellen Voraussetzungen. Enger bezogen auf Meister Eckhart möchte sie aber vor allem erkunden, welche Ansätze Eckhart selbst bietet, um in diesem Diskurs so prominent erinnert zu werden. Das hermeneutische Problem, inwieweit Rezeptionen an der Interpretation des rezipierten Autors teilnehmen und sein Profil mitbestimmen, wird immer wieder aufgegriffen werden.

Die Tagung steht auf einer breiten Verankerung in unterschiedlicher Fachlichkeit, die sich um den Bereich Mystik und Religion versammelt und die am Max Weber Kolleg/Erfurt ebenso wie in der Eckhartforschung intensiv eingeübt ist und weiter durchgeführt wird. Religionswissenschaft, Philosophie, Theologie, Literaturwissenschaft, Soziologie und Psychologie, sei es auf der Ebene der Vorträge, sei es auf der Ebene der teilnehmenden Disziplinen in der wissenschaftlichen Besetzung der Debatten. Der internationale Charakter der Veranstaltung, wird zudem durch die Zusammenarbeit mit dem AHRC-Projekt am King´s College, London, das zugleich auch in Erfurt und Rom die Rezeption in der zeitgenössischen universitären Debatte (Paris) untersucht, ebenso verstärkt wie durch die Beteiligung der international aufgestellten Eckhartforschung, der Islamwissenschaft und dem Zen-Buddhismus. Das ist aus dem Programm leicht zu ersehen, entspricht aber auch der Erfahrung mit der Beteiligung an vorausgehenden Veranstaltungen zu Meister Eckhart: Darüber hinaus ist gerade in München an einem Ort, wo solche Dialoge auch für akademische Kreise oft geführt werden, mit einem besonderen Zuspruch zu rechnen. Die Tagung wird veröffentlicht werden. Die internationale Aufmerksamkeit wird dadurch verstärkt, dass sie eine Fortsetzung im Begleitprogramm des Weltkongress für Religionsgeschichte in Erfurt, August 2016, in Zusammenarbeit mit der britischen „The Eckhart Society“ finden wird.

Man kann dazu versuchsweise, im Sinne von Ausgangspunkten und Anfragen einige Überlegungen anstellen, die dann in der Tagung untersucht werden. Das Einzigartige in der interreligiösen Aufmerksamkeit für Meister Eckhart könnte u.a. darin bestehen: Eckhart gestaltet die Botschaft der Menschwerdung so, dass jeder Mensch aufgrund seines Menschseins an dieser Menschwerdung göttlichen Ursprungs Anteil hat. Gott hat die menschliche „Natur“ angenommen. Die dadurch „geadelte“ Menschennatur ist die gleiche im Muslim, im Buddhisten, im Juden und im Christen. Es ist gleichsam Meister Eckharts Absicht, das Menschentum als solches zu würdigen, ihm den „Adel“ sowie den wahren Reichtum zuzusprechen, der ein Reichtum im Sinne des sich selbst gebenden Gottes ist. Insofern sie eine religiöse Erhöhung des Menschseins intendieren, können Religionen Meister Eckhart heute begegnen.

Dies ist durchaus ein Problem in der Geschichte des Islam, sowohl im kontroversen Umgang mit der menschlichen Vernunft also auch mit der religiösen Erfahrung. Eckhart konnte solche Kontroversen bereits kennen und auf sie eingehen. Die islamischen Dialoge mit Eckhart sind heute besonders aktuelle und haben eine Reihe von Untersuchungen hervorgebracht, die auch Ausgangspunkt einer zentralen Sektion dieser Tagung sein werden. Die philosophischen Brücken, wie sie bisher geschlagen wurden und der Vergleich der mystischen Denkwege bzw. der praktischen Lebenslehren, sind freilcih nicht immer miteinander vermittelt. Dies kann hier verstärkt geschehen.

Hinsichtlich der interreligiösen Wirkung Meister Eckharts wird oft nach dem Buddhismus gefragt. Der „Meister“ Shizuteru Ueda, der 1965 über Meister Eckhart promoviert hat, der langjährige dritte Leiter des zen-buddhistischen Instituts in Kyoto, weist neuerdings darauf hin, dass es im Wesentlichen der Umgang mit Sprache ist, der die Religionen hier verbindet. Sprache beschreibt er als einen „Käfig für die Welt“. Wenn nämlich diese Sprache wie ein Gitter mit genau definierten Streben total festgelegt ist und nicht mehr geöffnet werden kann, oder wenn diese Sprache sich im „Geräusch der Worte“ erschöpft. Sprache kann ein Käfig sein oder ein nutzloses und sinnloses Vorbeirauchen von Wörtern. Sprache kann aber auch im positiven Sinne ein „Netzwerk für die Welt“ sein, ein Netzwerk, um Wirklichkeit tiefer zu erfahren. Das ist Sprache dann, wenn sie einen Weg findet, von sich weg zu verweisen, wie jeder Wegweiser, der von sich weg verweist in eine Dimension, die er zwar bezeichnen kann, die er aber nicht in ihrer gesamten Wirklichkeit in der Sprache fassen, begrifflich begreifen kann. Diese Offenheit verbindet den Zen-Buddhismus mit Meister Eckhart.

Es gibt noch eine zweite Spur, die sie miteinander verbindet. Das ist das Wort „nicht“, das sie gehört haben, als die Predigt vorgelesen worden ist. Das ist ja auch zusammengefasst in Eckharts berühmter Armutspredigt , wo es heißt: Wahre Armut sei „Nicht haben, nicht wissen, nicht wollen“. Es geht nicht nur um ein Nichts-Haben, sondern es geht überhaupt darum, in eine Dimension zu gelangen, wo das „Haben“ keine Rolle spielt, in eine Dimension zu gelangen, wo das „Wollen“ keine Rolle spielt, wo das „Wissen“ nicht mehr entscheidend ist. Dieses „Nicht“ ist ausgesprochen über allem, was kontingent ist, also was hinfällig und fehlerfähig ist, also im Grunde über die gesamte Kreatur. Dieses „Nicht“ erfasst auch der Buddhismus in verschiedenen Zugängen so weit, dass er alles, was in irgendeiner Weise eine Aussage ist, die dieses „nicht“ positiv durchbricht, wieder zurücknimmt und versucht es wieder in eine Performation, eine Durchdringlichkeit des Schweigens zu übersetzen, alles aufzuheben, gleichsam so, wie eine Entladung, die zugleich eine Aufladung ist.

Es gibt aber noch eine weitere Form, die Meister Eckhart und den Buddhismus verbindet, über den speziellen Zen-Buddhismus hinaus: das ist die sogenannte „Verschmelzung“. Schon in dem biblischen Buch der Weisheit findet man die Formel, dass der Mensch wie ein Tropfen ist, der im göttlichen Meer untergeht. Diese Formel wird von einigen Mystikern gebraucht, z.B. von der Mystikerin Marguerite Porete (ca. 1250-1310) Bei Meister Eckhart selbst findet sich diese Formel vom Verschwinden des Tropfens im Meer ebenso. Aber auf dem Wege dieses Tropfens, so schildert es Marguerite, bleibt doch die Erinnerung an diesen Kreislauf, in dem der Tropfen zunächst aus dem Meer emporsteigt mit dem Dunst, zum Regen wird, dann hinab fällt und über die Bäche und Flüsse wieder zum Meer zurückkehrt. Viele Forscher gehen davon aus: Eckhart wollte die Differenz in die Einheit hinaufheben, aber sie nicht aufheben. Die Differenz ist ihm wichtig, aber erst auf der höheren Ebene einer „Unterscheidung durch Ununterschiedenheit“, d.h.: nicht die Kategorien der Differenz, die wir in Kategorien beschreiben, sondern eine andere Differenz, die jede kategoriale Einordnung übersteigt, ist ihm wichtig. Eines seiner Worte dafür ist das „Zwei-Eine“. „Gott und ich, wir sind Eines und Zwei zugleich.“

Was hier am Beispiel eines bereits bekannten Dialogfeldes beschrieben wird, soll auf anderen Feldern entwickelt werden: Hinduismus, Dao, Neokonfuzianismus. Die Verbindung der indischen Religiosität in ihren unterschiedlichen Ausprägungen mit Meister Eckhart ist seit dem 19. Jahrhundert ein Thema, teilweise auch über die Theosophie vermittelt. Hier wird ein großes Gewicht der Tagung liegen, indem aus unterschiedlichen, religionswissenschaftlichen und theologischen Perspektiven Annäherungen und bleibende Fremdheiten erörtert werden. Auch inwieweit die heutige Forschungslage eine andere ist als die Voraussetzungen, unter denen z.B. Rudolf Otto vor ca. 100 Jahren seinen Vergleich angelegt hat, wird Gegenstand der Untersuchungen sein.

Eine andere Spur, auf der Meister Eckhart interreligiös eine große Bedeutung hat und zwar sowohl in Indien als auch im Islam, das ist seine Lehre von der Barmherzigkeit Gottes, von Gottes Hingabe und von seiner Liebe. Die totale Transformation des Göttlichen in die Liebe, „Deus caritas est“ – dazu schrieb der Papst Benedikt XVI seine erste Enzyklika – diese totale Transformation des Göttlichen geschieht in Hingabe, in Selbstpreisgabe, in die Möglichkeit, ohne etwas damit erreichen zu wollen, sich selbst aufzugeben. Selbstgenügsamkeit, Selbsthingabe und damit aber auch die Bereitschaft und Offenheit für das Ganze, das alles spielt eine Rolle beispielsweise im Bhakti des Hinduismus.

Sebsthingabe spielt aber auch eine ganz große Rolle im Sufismus. Sufismus lebt aus der Vorstellung, dass Gott das Soziale ist, dass er die Barmherzigkeit ist, die aus sich herausgeht und dass der Mensch deswegen, das gehört ja zu den islamischen Hauptgeboten, dass der Islam zum Schutz vor Armut, zum Almosengeben, nicht nur zum Beten, dass er damit zu sozialen Strukturen verpflichtet ist. Das alles ist mystisch unterbaut, von iranischen, arabisch schreibenden Mystikern wie Ibn Arrabi oder Rumi. Wenn junge islamische Wissenschaftler den Dialog in ihren Doktorarbeiten mit Meister Eckhart zu führen versuchen, bringen sie ihre eigene Kompetenz aus der islamischen Mystik für unseren Austausch in Gesprächen mit.

Meister Eckhart wird auch in der nichtreligiösen, „gottlosen“ Mystik auf jeweils eigene Weise rezipiert, z.B. auch in der deutschen Literatur (genannt werden hier gern Rilke, Musil, Celan). Die Stelle in der Armutspredigt Meister Eckharts, wird gern geflügelt zitiert: „Ich bitte Gott, dass er mich gottlos mache“, das heißt, historisch gesehen, dass Gott von den üblichen Bildern Gottes befreie. Es gibt bereits eine Tradition, zu der auch Erich Fromm gehörte, wonach man Meister Eckhart ohne den Gedanken eines persönlichen Gottes rezipieren könne. Gibt es einen Abschied vom persönlichen Gott? Oder bedeutet der Unterschied zwischen Gott und Gottheit, den Meister Eckhart macht, nicht, dass er Gott als „Person“ aufgibt, sondern ihm sein Sein erhöht? Diese Frage richtet sich auch an die theistischen Religionen, ja an Religionen überhaupt. „Mystik statt Religion“, dies These hat Ernst Tugendhat anlässlich der Verleihung des Meister-Eckhart-Preises (2006) entfaltet. Auch diese Überlegungen, die von fortschreitenden Distanzen zu instituierten Religionen gekennzeichnet sind, bedürfen auf der Basis des individualisierten Interesses für Religion einer Vertiefung. Im Schlusspodium werden diese Fragen ausdrücklich zum Zuge kommen.

Dietmar Mieth

13.30: Begrüßungen und Einführungen
13.45 - 15.15: Sektion I: Theologische und religionswissenschaftliche Sicht
Moderation: Prof. Dr. Rudolf K. Weigand (Altgermanistik, Eichstätt)

Meister Eckharts Offenheit und seine interreligiöse Präsenz
Prof. Dietmar Mieth (Theologische Ethik/Sozialethik, Max-Weber-Kolleg, Erfurt)

Konfigurationen von Mystik zwischen Indien und Europa
Prof. Angelika Malinar (Indologie, Univ. Zürich, Direktorin USFP „Asien und Europa“, Zürich, Fellow am Max-Weber-Kolleg, Erfurt)

15.15 - 16.15: Kaffee-Pause mit einer Poster-Sektion für den wissenschaftlichen Nachwuchs

16.15 - 18.30: Sektion II: Die Bedeutung des jüdischen Religionsphilosophen Moses Maimonides (ca. 1135 – 1204) für das Denken Meister Eckharts
Moderation und kurze Einführung: Prof. Udo Kern (Evang. Theologie, Univ. Rostock): Die Entdeckung des Moses Maimonides als eine bedeutende Quelle des Eckhartschen Denkens durch Peter Heidrich (1929 – 2007)

... die Wahrheit annehmen, aus welcher Quelle auch immer sie stammt – Maimonides als Quelle der theologischen Methodologie und Attributenlehre Eckharts von Hochheim
Dr. des. Christian Ströbele (Fundamentaltheologie, Univ. Tübingen)

'Deus est unus omnibus modis'. Meister Eckharts Rezeption und Transformation der Einheitsmetaphysik des Moses Maimonides und ihrer intellekttheoretischen Grundlegung
Prof. Markus Enders (Christliche Religionsphilosophie, Univ. Freiburg i.Br.)

18.45: Abendessen

20.00 Meister Eckhart und Zen – interreligiös – überreligiös – A-religiös
Professor Dr. Shizuteru Ueda (Univ. Kyoto)

8.00: Laudes in der Hauskapelle
8.15: Frühstück

9.00 - 11.15: Sektion III: Islamische Quellen und sufistische Parallelen zum Denken Meister Eckharts
Moderation: Prof. Dr. Loris Sturlese (Philosophie, Lecce, Italien)

Islamische Quellen für das Denken Meister Eckharts: Avicenna, Al Ghazzali, Averroes
Dr. Alexandra Beccarisi (Philosophie, Univ. Lecce)

Über die Liebe in der islamischen und christlichen Mystik am Beispiel von Ibn Arabi und Meister Eckhart
Dr. Fateme Rahmati (Islamwissenschaft, Univ. Frankfurt a. Main)

Stages and Practices in the Way of Mystical Perfection: Love versus Intellect
Dr. Saeed Zarrabi Zadeh (Islamwissenschaft, Univ. Erfurt)

11.15 - 11.30: Pause

11.30 - 12.15: Sektion IV: Hinduismus
Moderation: Nigel Palmer (Altgermanistik, Oxford, UK)

Meister Eckhart interreligiös - religionswissenschaftliche Anmerkungen in Bezug auf (drei verschiedene) Hindu-Traditionen
Prof. Annette Wilke (Religionswissenschaft, Univ. Münster)

12.15: Mittagessen

14.30 - 16.00: Fortsetzung Sektion IV: Hinduismus

Gott ist Liebe - eine komparativ-theologische Perspektive auf westliche und östliche Mystik am Beispiel von Texten Meister Eckharts und Bhakti-Dichtung
Prof. Dr. Christine Büchner (Katholische Religionslehre, Universität Hamburg)

Das Einheitsdenken Meister Eckharts im Spiegel der Bhagavad Gita
Prof. Francis D´Sa (Puna, Indien)

16.00 -16.30: Pause

16.30 - 17.15: Sektion V: Zen-Buddhismus
Moderation: Dr. Mika Matsuda (Philosophin, Kyoto, Japan)

Die Abgeschiedenheitslehre Meister Eckharts und der Samadhi-Gedanke im Zen-Buddhismus
Prof. Teruhisa Tajima (Waseda University, Tokyo)

17.15- 18.45: Sektion VI: Chinesische Mystik
Moderation: Markus Vinzent (Historische Theologie, King´s College, UK)

Eckhart und Dao
PD Dr. Irmgard Rüsenberg (Germanistische Mediävistik, Univ. Bonn)

Vernunft und Wille bei Zhu Xi (1130-1200) und Meister Eckhart
Shuhomg Zhen (Theologie/Religionswissenschaft, King´s College, London)

18.45: Abendessen

(20.00: Jahresversammlung der Meister-Eckhart-Gesellschaft)
8.00: Gottesdienst in der Hauskapelle

8.45: Frühstück

9.30 - 11.00: Sektion VII: Mystik statt Religion?
Moderation: Gotthard Fuchs

Individuelle Mystik und Eckhart heute
Prof. Ben Morgan (Philosophie, Univ. Oxford)

Meister Eckhart – postmodern?
Prof. Freimut Löser (Altgermanistik, Univ. Augsburg)

11.00 - 12.30: Schlusspodium: Das interreligiöse Potential der Mystik Meister Eckharts und seine Bedeutung für die Zukunft
Einführung: Dietmar Mieth; Moderation: Dr. hc. Gotthard Fuchs (Wiesbaden)
Mit: Shizuteru Ueda, Felix Körner SJ, Angelika Malinar, Sr. Mendoza, Ben Morgan, Annette Wilke, Markus Enders, Christine Büchner, Karl Heinz Witte

(von Dietmar Mieth)

Sektion I

Dietmar Mieth, Meister Eckharts Offenheit und seine interreligiöse Präsenz

1. Hypothese: Der „Export“ Meister Eckharts im 19. und 20 Jahrhundert von West nach Ost führt zum interreligiösen Re-Import Meister Eckharts von Ost nach West.

Wer heute mit religiös interessierten Menschen redet, die östlich orientierte Meditationskurse besuchen oder sich Übungen in der leiblichen und geistigen Selbstfindung unterziehen, stellt immer wieder fest, dass sie mit Meister Eckhart bereits eine Vorstellung verbinden. Oft ist sie etwas vage, und ihre Herkunft ist nicht immer europäisch, sondern eine Art Anerkennung, die der Meister in nichtchristlichen religiösen Meditationsformen finden kann. Dies liegt teilweise an seiner Offenheit für viele Weisen der religiösen Begegnung und teilweise an seiner Abwehr der Festlegung auf ein dieser damals als religiöses Training üblichen Weisen. Aber um diese Begegnung aufzugreifen, ist auch ein europäischer Export Meister Eckharts über viele Kanäle anzunehmen.

Die indischen Religionen werden seit dem 19. Jahrhundert in Europa erst reguliert, indem man sie auf europäische Religionsbegriffe zurückführt, dann werden sie rezipiert und schließlich „mystisch“ genannt. Der Begriff „Mystik“ verlor dabei oft seine unterschiedliche Entwicklung in der europäischen Geistesgeschichte seit den intellektuellen Theorien eines Ps. Dionysius Areopagita oder eines Augustinus. Auf den indischen Subkontinent mit seiner religiösen Reichhaltigkeit wird die Kollegin Angelica Malinar aus Zürich eingehen. Sie wird am Beispiel Rudolf Ottos zeigen, dass und wie der europäische Export heute zu einem indischen Re-Import Eckharts führt.

2. Hypothese: Eckharts Konzeption des Ursprungs als einem überquellenden und ständig weiter fließenden Prozess stärkt die Autorität der biblischen „auctoritates“. So nennt Eckhart die ausgewählten Verse oder Versteile, die er aus der Bibel behandelt. Er verarbeitet diese „auctoritates“ methodisch in einem denkerischen und sprachlichen Nachvollzug. Dies bedeutet, dass er eine geschichtliche, eine erzählte, Offenbarung in eine allgemeine zugängliche, jetzt-zeitige und jeder-zeitige Offenheit verwandelt. Er sagt oft: „nimm die Zeit weg“, damit man sein Anliegen versteht. In diesem Sinne sagt Johannes Tauler über ihn: „Er sprach aus der Ewigkeit und ihr versteht es nach der Zeit.“

Offenbarung ist also jetzt-zeitige und jeder-zeitige Offenheit für das Denken. Eckhart zur Seite stehen dabei die Ansätze von jüdischen und arabischen Philosophen, insbesondere des nach Augustinus am meisten zitierte Moses Maimonides. Darüber ist viel gearbeitet worden, insbesondere ist Eckharts Intellekt-Theorie in die Aristoteles-Rezeption eingebettet worden, ohne dass dabei die neuplatonischen Quellen an Einfluss und Bedeutung verloren haben. Die arabische Seite kann man von der Philosophie her angehen, was für uns auf dieser Tagung Professorin Beccarisi (Lecce) tun wird, aber auch von der „mystischen“ Seite des Sufismus, die uns Dr. Rahmati (für Ibn Arrabi) und Dr. Zarrabi (für Rumi) erschließen.

3. Hypothese: Eckhart wendet eine besondere Methode an, die theologische Glaubensvoraussetzungen als Beziehungsprozesse beschreibt. Diese Methode scheint heute im Religionsdialog eine besondere Offenheit auszustrahlen.

Aus Eckharts Methode ergibt sich zugleich, dass eine als jetzt-zeitig und jeder-zeitig verstandene „Menschwerdung Gottes“, also eine „incarnatio continua“, welche die „creatio continua“, die unaufhörliche Schöpfung, verstärkt, ihre Pointe darin hat, Christologie als Menschheitsmetapher zu erläutern. Der Nachvollzug dieser Vorgabe Gottes in der Innerlichkeit jedes Menschen, die „Gottesgeburt“ wird damit menschheitlich offen verstanden.

4. Hypothese: es geht auch um das „Nicht“, sei es der Kreatur, also der geschaffenen Dinge, sei es um das „Nicht“ der Gottesbilder oder gar des von uns unerreichbaren Gottes. Und es geht zugleich um Denken und Liebe in der Mystik. Dazu kontaktieren wir in mehrere Religionswelten : Hinduismus (vgl. A. Malinar, A.Wilke, D´Sa), Daoismus (I. Rüsenberg), Neo-Konfuzianismus (Shuhong).Der Dialog mit den chinesischen Größen ist noch am Anfang. Die explizite indische und japanische Rezeption stehen hier im Vordergrund. Eckhart ist in Japan vollständig übersetzt, und er erzeugt dort eine eigenartige Spannung, vor allem mit dem Zen-Buddhismus. Da können wir auf den Abendvortag einer der größten Vermittler und Scheider zwischen Eckhart und Zen, Professor Ueda aus Kyoto, gespannt sein. Prof. Tajima von der Waseda-Universität, Japan, wird am Beispiel der „Abgeschiedenheit“ bei Eckhart und Zen diese Spur erweitern.

5. Hypothese: Selbstverständlich steht die Tagung auch unter aktuellen, systematischen Interessen, deren historische Dimension es zu beachten gilt. Dabei geht es vor allem um die religiöse Individualisierung und um die postmoderne Rezeption Eckharts, die Ben Morgan und Freimut Löser aus unterschiedlichen Blickwinkeln darstellen. „Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive“ ist das Forschungsprogramm der DFG-Kollegforschergruppe am Max Weber Kolleg der Universität Erfurt. Die Tagung wird in diesem Rahmen auch von der DFG gefördert.

In einer systematischen Annäherung geht es auch um die Frage, wie man etwas zugleich dekonstruieren und dennoch behalten kann. Der französische Philosoph Jacques Derrida, bei dem ebenso wie (erheblich stärker noch) bei Michel Henri oder Luc Marion Eckhart-Reprisen festzustellen sind (vgl. Morgan und Löser), hat einmal gesagt, man müsse das belastete Wort „Erfahrung“ durchstreichen, es aber zugleich als Durchgestrichenes behalten.

So spricht Eckhart schon im Frühwerk der „Reden der Unterweisung“ z.B. vom Gehorsam. Später spricht er vom „Bild ohne Bild“, vom Wort ohne Wort, von Gott ohne und dergleichen mehr. (Vgl. Mauritius Wilde, Meister Eckhart. Das neue Bild vom Gottesbild, Dokimion, Fribourg 2000). Denn der „Durchstrich“ bei Eckhart ist zugleich ein „Durchbruch“, so sagt er, wenn es darum geht, auf den Grund des Absoluten zu kommen.

Eine andre der damit verbundenen Fragen hat der Philosoph, Ernst Tugendhat, Meister Eckhart-Preisträger 2007, gestellt:
Mystik statt Religion? Man kann auch die alte evangelische Frage nach Erfahrung und Glauben sowie die katholischen Fragen nach Eckharts Orthodoxie aufgreifen. Nun ist Eckhart aber „vorkonfessionell“ aufgestellt, das hat heute einen besonderen ökumenischen Reiz. Konfessionell hat das Wort „Kirche“ in der Neuzeit bis heute Konjunktur, bei Eckhart nicht (auch nicht z.B. bei Thomas von Aquin!). Aber Eckhart versteht sich unbestreitbar als Christ, ohne jedoch um das Christentum herum Zäune zu errichten.

Professorin Dr. Christine Büchner (Hamburg) und Professor DDr. Markus Enders (Freiburg) haben geholfen, diese Tagung so reichhaltig zu gestalten. Bei ihnen möchte ich mich ebenso bedanken wir bei den weitgereisten Experten aus Indien und Japan: Professor Dr. Francis D´Sa, Dr. Mendonca, Professor em. Dr. Shizuteru Ueda, Kyoto, und Prof. Dr. Teruhisa Tajima, Waseda, Dr. Mika Matsuda (Kyoto). Die anderen Experten kommen aus Europa, auch wenn sie fernere Regionen repräsentieren: aus Lecce, Oxford, London, Zürich, und natürlich aus Deutschland: Augsburg, Eichstätt, Erfurt, Freiburg, Hamburg und Tübingen.

Angelica Malinar, Konfigurationen von Mystik zwischen Indien und Europa

Am Beispiel von Rolf Ottos West-östlicher Mystik (1926) werden die Interessen an der Klassifizierung von „Mystik“ und an der rationalen Hervorhebung Meister Eckharts beschrieben. Die Offenheit ist zugleich mit Durchsetzung an zwei Fronten verbunden: einerseits gegen eine christliche Glaubensorthodoxie die Erfahrung/Mystik abwehrt; andererseits gegen einen „Mystizismus“, der der Interpretation als unverwüstliches Vorverständnis dient, auch wenn Shankara als Philosoph und Monotheist anerkannt wird. Dem östlich/indischen Denken in seiner Vielfalt und Differenzierung kann man so gar nicht gerecht werden. Ottos Mischung von Anerkennung und Überbietung hat aber bis heute eine große Wirkung. Denn einerseits wird Eckhart als Philosoph einer „Mystik“ nahe gerückt, um sich ihr gegenüber zugleich zu behaupten; andererseits wird „Mystik“ durch eine besonders intellektuelle Fassung bei Shankara repräsentiert. Es bestätigt sich, wie sinnvoll es ist, diesen Zügen historisch nachzugehen und ihre Wirkung auf „Eckhart interreligiös“ zu überprüfen.

Sektion II

Udo Kern behandelte die Geschichte der “Entdeckung des Moses Maimonides als eine bedeutende Quelle des Eckhartschen Denkens durch Peter Heidrich (1929-2007)“. Ihm ging es vor allem darum, die Person dieses gelehrten Theologiehistorikers in der DDR herauszustellen.

Christian Ströbele behandelte unter dem Zitat „..die Wahrheit annehmen, aus welcher Quelle auch immer sie stammt“ das Denken des Maimonides „als Quelle der theologischen Methodologie und Attributenlehre Eckharts“. Das Zitat zeigt wiederum Eckharts Offenheit. Ihm ging es vor allem um Entsprechungsverhältnisse zwischen Gott, Natur (als Spurenträger) und Handeln (bzw. Lebenspraxis), die man bei Maimonides vorfinden kann und die Eckhart ebenfalls aufzeigt. Eckharts Perspektivismus behandelt alle Aussagen unter dem Vorbehalt des „insofern“ (inquantum) ihres jeweiligen Bezuges. Bei Eckhart nimmt jedoch das Denken in Relationen gegenüber dem Substanzdenken bei Maimonides die Führung. In Gott ist Relation und Substanz sagt Eckhart, aber die Substanz fällt stark unter die negative Theologie, während die Relationen, zunächst als Binnenbewegung der Trinität, dann in der Schöpfungs- und Menschwerdungsoffenbarung als „negatio negationis“ die Zugänglichkeit Gottes ermöglichen.

Markus Enders, „Deus est unus monibus modis“

thematisierte das Verhältnis Maimonides Eckhart von der Gotteslehre her. Er entfaltete die Argumentation von Maimonides, dass es in Gott keine subsistenten Attribute geben können. Gottes Einfachheit wendet sich gegen Wesens- bzw. Seinsvielfalt. Deshalb kann es hinsichtlich Gottes nur analoge Attribute geben, die der Vielfalt seiner Wirkungen entsprechen, aber nicht von ihm selbst ausgesagt werden können. Denn Gott wirkt nur durch sich selbst und bleibt dabei attribut-los bei sich selbst. Eckhart rezipiert nun diese Theorie hinsichtlich der Attribute und transformiert sie zugleich, weil er weiterhin die Trinität als Fülle und Reichtum Gottes, die nicht im Widerspruch zu seiner Einfachheit stehen, behauptet. Aber indem Eckhart bei der Auffassung des Maimonides von Relationen, die nur Wirkungen sind, aber keien Subsistenz in sich selbst, haben, verbleibt, wird er seitens der Inquisition mit dem Vorwurf, die Trinität nicht orthodox zu lehren, konfrontiert. Die Frage, die sich dabei stellt, ist, ob die Ablehnung der Subsistenz durch Eckhart philosophisch „irrtümlich“ ist, weil man subsistente Relationen denken kann oder ob die eine Glaubensfrage ist. Wie hat Eckhart die Trinität mit philosophischen Mitteln des Maimonides christlich denken können? (Anfrage an den Referenten: wäre dies möglich, wenn nach Eckhart Gott gleichursprünglich Substanz und Relation, Einfachheit und Prozess, ist?)

Abendvortrag

Abendvortrag von Shizuteru Ueda, Meister Eckhart und Zen – interreligiös – überreligiös – a-religiös (ein Auszug:)

Der Marburger Theologe und Religionsphilosoph Rudolf Otto, ein großer Kenner der ostasiatischen Religiosität, schrieb seinerzeit einen wichtigen Artikel über den Zen-Buddhismus. Es heißt: “Das Erlebnis der alten Zen-Meister ist immer wieder, so hoch man auch steige, ‚nach oben offen?. In dieser Hinsicht haben gerade sie viel mehr Ähnlichkeit mit unserer eigenen deutschen Mystik, wie sie uns Eckhart gegeben hat, als mit der des Vedanta (Sañkaras). Es kommt auf eine Unendlichkeit nach Innen an. Eckhart ist gotischer, nicht griechischer Mystiker, und damit ist er dem Mahayana ähnlicher.“ Im Jahr 1948 erschien in Japan ein monumentales Werk von meinem Lehrer Keiji Nishitani (1900 - 1992) über Meister Eckhart mit dem Titel 神と絶対無 (Kami to Zettai-mu - Gott und das absolute Nichts). Zu diesem Titel schreibt Nishitani:

Der Titel Gott und das absolute Nichts soll zum Ausdruck bringen, daß Eckharts christliche Erfahrung eine Entsprechung zur buddhistischen Erfahrung in sich birgt. Für die gegenwärtige Situation scheint mir dies sehr wichtig zu sein.

Im Grunde des Lebens ist nichts, auf dem wir die Füße setzen (oder, uns stützen) können. Vielmehr müssen wir sagen: das Leben ist darum Leben, weil es sich darauf gründet, wo es nichts ist, auf dem das Leben sich gründen kann. Aus der Selbstgewahrnis des Un-gründigen realisiert sich die neue Subjektivität des Selbst, die den spirituellen Intellktus, die Vernunft und das natürliche Leben durchfließt.

Angesichts dieser Zeilen erinnern wir uns an „das Leben ohne Warum“ bei Eckhart.

Eckhart sagt:

„Wer das Leben fragte tausende Jahre lang: ‚Warum lebst du?' – könnte es antworten, es spräche nichts anderes als: ‚Ich lebe darum, daß ich lebe.' ... darum lebt es (das Leben) ohne Warum eben darin, daß es sich selbst lebt.“ (Anm. 1)

Der radikale Nihilismus macht von vornherein alle mögliche Antworten auf das „Warum“ nichtig. Falls es uns um eine Überwindung des radikalen Nihilismus geht, so würde es vielleicht nur einen einzigen Weg geben, daß das nihilistische Fehlen der Antwort auf das Warum von dem „Ohne „Warum“ des Lebens schlechthin sprunghaft überholt wird. Es geht also um eine Umkehr von dem negativen Fehlen des Darum zum absoluten „Ohne Warum“, von dem privativen nichts zu dem erfüllten Nichts. Um dieselbe Umwendung vom negativen nichts zu dem absoluten Nichts geht es dem Zen-Buddhismus. Im „Leben ohne Warum“, in dieser gelebten Freiheit, sehen wir eine wesenhafte Geistes- und Lebensverwandtschaft von Meister Eckhart und Zen.

Eckhart entfaltet das Ereignis Durchbruch auf der Grundlage der „Gottesgeburt in der Seele“. Dadurch wird die Seele zum göttlichen Leben erweckt. Die Gottesgeburt in der Seele, für deren Gedanke die christliche Trinitätslehre maßgebend ist, erfährt Eckhart als die sprunghafte Erfüllung des reinen, ursprünglichen Lebens, die dem Menschen durch das Aufgeben des „Ich“ in der Abgeschiedenheit geschenkt wird. Dabei ist die Betonung der Ununterschiedenheit zwischen dem Sohn, den Gott in der Seele gebiert, und dem Sohn, den Gott in sich gebiert, sehr bezeichnend für Eckhart.

Eckharts Denken umfasst eine stufenweise Steigerung bis zum Nichts der Gottheit. Zunächst sagt er, „Gott ist gut“ bzw. „Gott liebt mich“. Das ist eine Glaubensaussage. Es sind nicht wenige Predigten, die dieses Thema entfalten. Das ist aber nicht alles, was er predigte. Er sagt dann, „Gott muß gut sein, Gott muß mich lieben“. Das ist eine Erkenntnisaussage. In der Erkenntnis wird nämlich der Grund dafür, daß Gott gut ist, erschlossen. Schließlich sagt er aber „Gott ist nicht gut“ (d. h. in seinem Wesen). Diese Aussage gehört zur sog. negativen Theologie, die Eckhart sehr radikal durchführt, und die sehr existentielle Züge trägt. Die Radikalität der negativen Theologie bei Eckhart zeigt sich schon in solchen Wendungen wie: „[Gott ist] ein Nicht-Gott, ein Nicht-Geist, eine Nicht-Person“ (ein nit-got, ein nit-geist, ein nit-persone) (Anm. 4), oder „weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist“. Hier wirkt die Verneinung auch im Bereich der Trinität. Wenn er zur positiven Wendung kommt, dann wieder mit derselben Bezeichnung wie für die Gottheit: Die Seele ist „eins und einfaltig“, „ein lauteres eins“, „ledig und frei“. Bei Eckhart sind Gotteslehre und Seelenlehre bis zur letzten Konsequenz ineinander verschlungen.

Im Zen-Buddhismus, besonders auf dem Weg nach oben, wie es so heißt, ist eine weitgehende und genaue Übereinstimmung mit Eckhart zu konstatieren, was die radikal durchgeführte negative Theologie um der letzten Wirklichkeit willen und den dynamischen Zug der Steigerung, sowohl hinsichtlich Gottes als auch der Seele, anbelangt. Das geht manchmal so weit, daß viele Zeilen in Predigten Eckharts fast wörtliche Übersetzungen aus Zen-Texten sein könnten.

In Bezug auf Meister Eckhart erhebt sich die Frage: Was kann das Nichts der Gottheit, wo Gott jenseits seines Gegenüber zur Kreatur, in sich ist, überhaupt für den Menschen bedeuten? Seine ganze Thelogie beruht auf dem Gedanken, daß die Gottheit, der Grund Gottes, der Seele eigener Grund ist, so daß die Seele in ihrem eigenen Grund dasselbe ist, wie Gott in seinem Grunde ist. Das bedeutet nicht, daß Seele und Gott identisch seien.

Hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund. Hier lebe ich aus meinem Eigenen, wie Gott aus seinem Eigenen lebt. Wer in diesen Grund je nur einen Augenblick lang lugte, dem Menschen sind tausend Mark roten, geprägten Guldes [soviel] wie ein falscher Heller. Aus diesem innersten Grunde sollst du alle deine Werke wirken ohne Warum.

Ich sage fürwahr: Solange du deine Werke wirkst um des Himmelreiches oder um Gottes ... willen, ... so ist es wahrlich nicht recht um dich bestellt ... Ein solcher Mensch ist ... das Leben selbst. Wer das Leben fragte tausend Jahre lang: ‚Warum lebst du?' – könnte es antworten, es spräche nichts anderes als: ‚Ich lebe darum, daß ich lebe.' Das kommt daher, weil das Leben aus seinem eigenenn Grunde lebt und aus seinem Eigenen quillt; darum lebt es ohne Warum eben darin, daß es [für] sich selbst lebt. (Anm. 7)

Ich lebe aus meinem eigenen Grund, wie Gott aus seinem eigenen Grund lebt. Das ist ein goldenes Wort Eckharts für die wahre Freiheit des Menschen.

Das ist für Eckhart die wahre Freiheit des Menschen, Freiheit ohne Gott (âne got), wobei in diesem „ohne Gott“ das Nichts der Gottheit gegenwärtig ist. In diesem Sinne sagt Eckhart: „Mir wird in diesem Durchbrechen zuteil, daß ich und Gott eins sind [d. h. nicht vereint].“ (Anm. 8) Mit diesem Gedanken steht Eckhart jenseits bzw. diesseits des Gegensatzes von Theismus und Atheismus, jenseits bzw. dieseits des Gegensatzes von Personalismus und Impersonalismus.

Im Leben „ohne Gott“ in diesem Sinne verbindet Eckhart das Nichts der Gottheit unmittelbar mit seiner Auffassung der vita activa in der alltäglichen Welt- und Lebenswirklichkeit. In seiner charakteristischen Auslegung der Perikope von Maria und Martha (Luk. 10, 38-42) sieht Eckhart die Vollkommenheit in Martha, die zur Bewirtung der Gäste in der Küche arbeitet, nicht aber in Maria, die zu Jesu Füßen sitzt und seiner Rede zuhört. (Anm. 9) Martha arbeitet in der Küche. In der Küchenarbeit vollzieht sich der Durchbruch, in dem Gott als Nichts der Gottheit in Martha konkret gegenwärtig ist.

Wir sehen also bei Eckhart eine strukturierte Dynamik, nämlich: durch die radikale Verneinung zurück zum uranfänglichen Wesensgrund und von dort wieder in die vita activa.

Die radikale Verneinung im Zen zeigt sich schon darin, daß es ihm auf das Nichts schlechthin ankommt, während bei Eckhart vom Nichts der Gottheit die Rede ist. Für Eckhart ist Gott in seinem Wesen ein Nichts. Im Substanzdenken gilt unbedingt der unantastbare, unwandelbare Ur-satz, daß Gott ist. Im Sinne der negativen Theologie ist bei Eckhart „das Nichts“ schließlich der Inbegriff aller negativen Bezeichnungen für die Lauterkeit des Wesens Gottes. Demgegenüber ist das Nichts im Zen ein Ausdruck für die entsubstantialisierende Bewegung entsprechend dem mahayana-buddhistischen Beziehungsdenken. (Anm. 10) Das Nichts im Zen ist nicht, wie bei Eckhart, eine andere Bezeichnung für das lautere Eine, sondern liegt jenseits bzw. diesseits des Einen, wie die Null.

Daisetzu Suzuki, der sagte, „die Welt ist mir zu Hause“, las seit seiner Jugend die Werke Meister Eckharts sehr gerne, zunächst in der englischen Übertragung, und dann mit der Veröffentlichung der deutschen Werke (seit 1936), je nach und nach in Original. In seiner späteren Werk, „Mysticism Christian and Buddhist“ (1957), behandelt er viel Eckhart. Nach seiner damaligen Sekretärin sagte Suzuki oft „Gerne hätte ich mit Eckhart selbst gesprochen!“ Dabei ziterte Suzuki oft Eckharts Worte, wie z.B. „Gott gebiert jeden Augenblick neu den Gottessohn in der Seele des abgeschiedenen Menschen“, und auch „Die Augen mit denen ich Gott sehe sind dieselbe Augen mit denen Gott mich sieht.“

Sektion III

Alexandra Beccarisi ging in ihrem Vortrag nicht primär auf „islamische Quellen“ Eckharts ein. Sie nahm vielmehr Eckharts deutsche Predigt DW. 104, die den Reden der Unterweisung benachbart erscheint, also in die Jahre 1298-1304 gehören könnte, als ein Beispiel dafür, wie sich Eckhart von den arabisch-aristotelischen „intellectus agens“ Theorien, die sich auch bei seinem älteren Kollegen Dietrich von Freiberg finden, zugleich beeinflusst zeigt (etwa Averroes, De anima) und davon absetzt. Denn nur hier unterscheidet Eckhart drei Vernunftarten: die wirkende, die mögliche und die leidende Vernunft (intellectus agens-possibilis-passivus). Der „intellectus agens“ kommt dem „werkmeister“ Gott zu. Der Mensch ist hingegen, „schwanger“ geworden zur Gottesgeburt, der Empfangende, der die Geburt erleidet. Gottesgeburt als ein Akt, der ohne Vermittlung empfangen wird, kann auf diese Weise prozessual gedacht werden. Wahrend Avicenna die Empfänglichkeit „per inspirationem“ des „intellectus agens“ hinsichtlich des Wissenschaftlers und des Propheten erläutert, geschieht das Empfangen bei Eckhart „per abstractionem“, also durch Abgeschiedenheit, und zwar sogleich (subito). Dies bedeutet nach Beccarisi „Verzicht auf diskursive Rationalität“ und Eintritt in das „Schweigen“ (vgl. VA, DW V, 410,7-411,19) oder in das Feuer, das nach der Verwandlung in das Feuer nicht mehr brennt.

Fateme Rahmati, Über die Liebe in der islamischen Mystik am Beispiel von Ibn Arabi und Meister Eckhart

Liebe ist zugleich das Gemeinsame und ihre Behandlung je nach Religion Verschiedene. Im Islam hat die Liebe eine besondere Stellung. Es gibt über 100 Ausdrücke, um sie zu bezeichnen, sowohl für Gott, als auch für den Menschen („al-hubb“, 95 mal im Koran). Im Hadtih beschreibt sich Gott als der Liebende, der sich wiederlieben lässt. Eine höhere Stufe der Liebe als Teil des mystischen Pfades (A-Gazhali) hat eine eigene Bezeichnung, die man als Metapher im Sinne von „Durchströmtsein vom Duft“ beschrieben kann. Al Arabi hat diesen Vorgang als ein und denselben beschrieben. Da außer Gott nichts ist, ist es sein eigener Strom, der außer sich herausgeht und zu sich zurückkehrt.

Saeed Zarrabi Zadeh, Stages and Practices in the Way of Mystical Perfection: Love versus Intellect

Der Vortrag versuchte, die praktische Mystik des bedeutenden Sufi im 13. Jahrhunderts, Jalal al-Din Rumi (1207-1273) zu systematisieren: einerseits auf der Basis seiner eigenen mystischen Prinzipien, andererseits auf der Basis einer komparativen Methodologie.

Die wechselseitige Verbindung zwischen verschiedenen Aspekten der Mystik ist dabei wichtig. Ähnlichkeiten und Differenzen müssen zugleich beachtet werden. Freilich soll Rumi nicht mit beliebig anderen mystischen, philosophischen und religiösen Konzeptionen verglichen werden. Der ausgewählte „Spiegel“, in welchem seine Gedanken widerstrahlen sollen, ist Meister Eckhart. Denn Eckhart repräsentiert im Gegensatz zu Rumi einen spekulativen Typ von Mystik. Bei allen unübersehbaren Ähnlichkeiten mit Rumis Lehre gibt es doch den Unterschied, dass Eckhart vorrangig auf Erkenntnis bzw. auf den Intellekt setzt, während Rumi Liebe ins Zentrum seiner Mystik stellt.

Der Liebesweg Rumis betrachtet die mystische Vollkommenheit vorrangig als die Einung von Liebendem und Geliebten im Liebesprozess. Dieser Liebesweg beeinflusst alle praktischen Anweisungen Rumis von Anfang bis Ende. Dem kann man Eckharts intellektiven Aufstieg in seinem Schritten der Abstrahierung (Abgeschiedenheit) gegenüberstellen, also die Einung von sich wechselseitig „Erkennenden“ in einem Prozess des schenkenden und empfangenden Intellekts.

Aber Erkenntnis und Intellekt sind auch bei Rumis Mystik Wegbegleiter. Das Gleiche gilt umgekehrt für Meister Eckharts Liebeskonzeption, in welcher der Einungsprozess zwar die Art der Sprache aber nicht das Konzept in der Sache wechselt. Das Denken bewegt sich im Herzen. So kann man die Unterschiede durchaus für eine Parallelisierung nutzen: bei Rumi eine Mystik des Sich- Selbst- Lassens aus Liebe, bei Eckhart eine Loslösung („detachment“), die im Denken vollzogen wird, das dann gleichsam das Begehren mitnimmt und von ihm begleitet wird.

Sektion IV

Annette Wilke, Meister Eckhart interreligiös - religionswissenschaftliche Anmerkungen in Bezug auf Hindu-Traditionen und neue Aspekte zum Vergleich mit dem Advaita-Vedanta.

Der Mystik-Begriff wurde zugleich mit Meister Eckhart und mit der Entdeckung der indischen Philosophie in einer Zeit neu entdeckt, in der die Bindung an das institutionelle Christentum verloren ging. Bei Eckhart wie in den östlichen Traditionen wird Immanenz in die Transzendenz eingelagert und nach einer Harmonie des Universums gesucht. Insofern sind die Gedanken aus Ost und West bereits in den modernen Mystik-Begriff eingegangen und verleiten dazu, ganz unterschiedliche Traditionen zu vergleichen. Die Advaida-Tradition, Yoga und Bhakti sind unterschiedlich genug, so dass das Hervorheben einer Tradition wie bei Rudolf Otto nicht genügen kann. Rudolf Otto hat dennoch eine große Leistung vollbracht, ohne die man nicht weiterdenken konnte. Man darf freilich nicht nur mit den Analogien arbeiten, die vom Westen ausgehen. Deshalb ist es wichtig, auch einmal genau hinzusehen, wie Eckhart indisch anders als europäisch, historisch und aktuell, gelesen wird. Am Beispiel der Predigt 86 über Maria und Martha lässt sich zeigen, dass ein solcher Text hinduistisch als Weg der anfangenden Maria zur vollkommenen Maria gelesen wird. Interpretation und Vergleich sind immer gefährlich, insofern sie der notwendig auf Selektion beruhen; dagegen eröffnet ein aufmerksames Hören neuen Raum für Erkenntnis.

Christine Büchner, Meister Eckhart und Lalleshwari – eine komparativ-theologische Perspektive

Lalleshwari ist eine Shiva verehrende, also monotheistische, Wanderasketin des 14. Jh., die in der Tradition des kaschmirischen Shivaismus in Gedichten (ind.: Vakh) über transzendierende Erfahrungen der liebenden Einswerdung mit Shiva spricht. Ihr lyrisches ist zugleich ein lehrendes Ich. Die Zeitlosigkeit der Tiefenerfahrung wird in mannigfachen Metaphern zum Ausdruck gebracht, die stets mit Fließen, Austausch und Vertauschung zu tun haben. Ein fließender Austausch zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen wird so inszeniert, der keinen an seinem angestammten Ort lässt. Dieses Fließen kann auch, in der Tradition des Yoga, im Einatmen und Ausatmen ausgedrückt werden. Bei Eckhart finden sich trotz des Gattungsunterschieds ähnliche Passagen, die zwischen personaler und naturaler Metaphorik changieren, wenn es um den Weg des Menschen in die Einheit mit Gott geht. Auch sie machen darauf aufmerksam, dass in der Begegnung des Selbst mit Gott nichts an seinem Platz bleibt und endliche, das Leben begrenzende Kategorien (hoc et hoc) ihre Relevanz verlieren. Diese dynamische Sicht des Gott-Welt-Mensch-Verhältnisses bei Eckhart wird erst im Vergleich mit dem fremden Text und im Austausch mit diesem evident und erklärt Eckharts epistemologisches Prinzip der Ergänzungsoffenheit aller Erkenntnis.

Francis D´Sa, Das Einheitsdenken Meister Eckharts vis à vis dem Ganzheitsdenken der Bhagavadgita.

D´Sa greift nochmals auf den von Rudolf Otto begonnenen Dialog zurück, diesmal jedoch von der anderen Seite her. Nach seiner Auffassung lassen sich die Texte verschiedener Traditionen „ökumenisch“ übergreifend lesen. Es geht um Ganzheit, um Wohnen im Ganzen (ind.: sarvam). Ein besonderes Phänomen ist dabei das Steigern der Sinne. Sehen, was ist, ist als inspirierende Gnade aufzufassen. Da wir stets von Neigung und Abneigung bestimmt sind, sind wir von uns her verblendet und am richtigen Sehen gehindert. Der Prozess des Sehens mit „göttlichen Augen“ ist bei Meister Eckhart ganz ähnlich dargestellt, wenn er die Funktionseinheit des wechselseitigen Anblickens (Pr. 48) auch bei unterschiedlichen Lebewesen betont. Was Gnade ist, wird erfasst, wenn das Gebende das Göttliche ist. Als Endliche hingegen geben und lieben wir nie ganz bzw. ganzheitlich. Unterschiedliche Dogmatiken verhindern, dass spirituelle Gedanken und Erfahrungen sich gegenseitig befruchten und erhellen und das jeweils Eigene verdeutlichen können. Wenn wir aber die Texte ernstnehmen, können wir „funktionale Äquivalenzen“ (R. Panikkar) wahrnehmen. Ein Beispiel: In der Bhagavadgita sagt Krishna, der All-Ganze (hier wird auffälligerweise aus dem Ganzen (n.) der Ganze (m)): „Ich habe dich sehr lieb, und ich sage dir, was für dich gut ist“ - und hat so eine äquivalente Funktion für den indischen wie Jesus Christus für den westlichen Horizont. Die Weltbilder nähern sich einander.

Diese Gedanken wurden von Sr. Mendonca (Poona) vor dem Schlusspodium nochmals pointiert. Sie unterschied Erfahrung, Glaube und Lehre als wechselseitig befruchtende Aspekte und sprach dabei vom Brückenbau. Traditionen könnten komplementär, d.h. nicht mit Verlust, sondern mit Gewinn wechselseitig ausgelegt werden. Diese setzt Anerkennung ohne Vorbedingungen voraus. Die eigene Ungewissheit solle soweit gewahrt sein, dass man für Lernprozesse offen ist und diese jenseits eines hermeneutischen Verdachtes in Bewegung setzt.

Sektion V

Terushima Tajima, Die Abgeschiedenheitslehre Meister Eckharts und der Samadhi-Gedanke im Zen-Buddhismus

Ganz im Sinne der genannten Voraussetzungen versuchte Tajima Eckharts Gnadenlehre aus dem Dialog mit dem Samadhi—Gedanken des Zen-Buddhismus zu verstehen. Abgeschiedenheit, Loslösung. Ledigkeit, Freiheit – die bei Eckhart variantenreich gebrauchten Formeln für eine Konzentration in der Innerlichkeit – das alles sind nicht äußere Übungen oder Bußformen, sondern Effekte aus einer „productio ex silentio“, einem Überschäumen Gottes in sich selbst und aus sich selbst heraus. Es ist eine göttliche „Transfusion“ („emanatio tranfusiva“). „Johannes legt von Christus das Zeugnis ab und der Gerechte das Zeugnis von der Gerechtigkeit, dass er selbst und alle Gerechten bzw. Gottbegabten ohne ihre eigenen Verdienste allein durch Gottes Gnade (sola gratia Dei) als reines Geschenk empfangen, was sie gerecht macht“ (In Joh. n. 172, LW III, 142-3-5). Eckhart betrachtet also die Gnade als reines unmittelbaren, verdienstloses Gottes-Geschenk („solo Deo“, Sermo XXIV n. 255, LW IV, 233,7-8, „gratis data“). Es gibt keine Kooperation, keine Disposition. Es gibt nur das Aushalten der Negativität des eigenen Tuns: Schweigen, abscheiden, unbeweglich wie die Türangel, wenn die Tür bewegt wird. Diese Negativität ist bei dem Zen-Meister Dogen „im Samadhi des Meeres der Wirklichkeit“. Der Vorgang ist nicht von seiner Bewusstheit abhängig. Ebensowenig bei Eckhart. Alles ist wie im Samadhi „unerkannt“. Alles ist nichts in sich selbst, aber dadurch allererst bei dem schenkenden Selbst.

Sektion VI

Irmgard Rüsenberg, Eckhart und Dao

Rüsenberg geht von einem Text von Laozi, Daodejing aus (Ausgabe Simon, Stuttgart 2009). Auch Dao verweigert sich der Aussage, macht aber Aussagen über die Nicht-Aussage. Namenlosigkeit gebührt der Erstheit, dem Anfang, dem Nicht-Sein. Ohne Namen gibt es aber alle Namen und ist „Mutter der zehntausend Dinge“. Der Zustand im Nicht-Seins ist eröffnend für die „feinen Verästelungen“; das Sein ist eröffnend für Grenzerfahrungen. Die Rede ist vom „mystischen Dunkel“ als Tor für beides: Grenzen und Grenzüberschreitung. (Dazu könnte man bei Eckhart die Predigt 71 heranziehen). Diese „beides zugleich“ wird dialektisch ausgedrückt, indem das Ungute die Mutter der Güte, das Hässliche die Mutter der Schönheit ist: eine Zerstörung der Analogie. Sein und Nichtsein „bringen sich wechselseitig hervor“. Nur die Haltung des „Nicht-Eingreifens“ (Wu wei) und des „Nicht-Redens“, auch des Nicht-Habens (vgl. Eckharts Pr. 52, die sog. Armutspredigt) ermöglicht ein Fortschreiten. Auch hier wiederum zeigt sich ein Versehen von „Verästelungen“ bei Eckhart aus einem anderen Blickwinkel.

Shuhong Zhen, Vernunft und Wille bei Zhu Xi (1130-1200) und Meister Eckhart

Sowohl im Christentum wie im Konfuzianismus gibt es je zwei Schulen für das Verhältnis von Vernunft und Wille. Im christliche Mittelalter sind es die Dominikaner, die die Vernunft, die Fransziskaner, die den Willen betonen, ohne dass dabei das jeweils Andere ausgeschaltet wird. Die Hauptspur des ethisch orientierten Konfuzianismus ist das willentliche (yi) Handeln. Davon weicht Zhu Xi ab, indem er die Rolle der Vernunft (zhi) als Steuer des Handelns (xing) betont. Auch dabei geht es nicht um einen Ausschluss, sondern um eine Integrierung: Zhu Shi sagt, dass „Wissen und Handeln sich immer gegenseitig bedürfen. Was die Reihenfolge betrifft, so kommt Wissen zuerst, doch was die Bedeutung betrifft, ist das Handeln zu bevorzugen.“ Im Handeln kommt der Wille mit zum Zug. Diese Dialektik formuliert Zhu Xi: vor dem Willen steht das Wissen, das aber nicht ohne „Ernsthaftigkeit“ des Wollens vollzogen werden kann. Der körperliche und endliche Mensch kann seine wissende Orientierung am Guten willentlich stabilisieren. Dies verlangt eine „Selbsttransformation“. Bei Eckhart ist die Superiorität der Vernunft schärfer ausgedrückt als z.B. bei Thomas von Aquin. Auf dem Weg zum Handeln geht es um die grundlegende Erstheit der Wahrheit, die dem Intellekt zugänglich ist bzw. von ihm empfangen wird, während Wille und Liebe diesen Vorgang, von gesteuert, begleiten. Beide Zhu Xi und Eckhart werden dabei „über die traditionellen Positionen hinauskatapultiert.“

Sektion VII

Ben Morgan, Individuelle Mystik und Eckhart heute

Ist Meister Eckhart ein Leitbild eines „interreligiösen New Age“? In Europa leben nur noch orthodoxe Minderheiten in ihren Kirchen. Im Vordergrund der 70 % „Privatmystik“ steht die „spirituelle Improvisation“. Man kauft überall ein, passt etwas an sich an, transformiert, so wie Madonna in einem Song den islamischen Mystiker Rumi. Trotz aller „bricolage“ gibt es dennoch einen Anspruch: man will teilnehmen, involviert sein, der Wahrheit „gleich“, ja, ihr „ausgeliefert“ sein, von notwendigen Einsichten überwältigt werden, die angebotenen „Werkzeuge“ selbst handhaben können (nach William C. Chittik). Es gibt keine dogmatischen Ausschlüsse, Hierarchien werden hinterfragt. Solchen Elementen kann man auch bei Eckhart und seinen Predigt-Zuhörern begegnen. Als Beispiel dient hier die Pr. 103: Ständig wird von den Zuhörerinnen nachgefragt: woher kann ich die Gottesgeburt, von der du redest, wissen, erfahren – gibt es Garantien? Eckhart nimmt das ernst: du hast keien Erlebnisgarantien, aber du erfährst, ob du dich änderst. Morgan macht an einer Eckhart-Handschrift in Ausgburg deutlich, dass der Schreiber an einer körperlichen Umsetzung von Übung und Erfahrung interessiert war (in der wiss. Ausgabe getilgt!). Man begriff also Eckhart „auktorial“, es ging um Aneignung, jetzt, sofort, um Teilnahme. Deshalb hat Eckhart in der Pr. 66 gesagt: ihr werdet es erfahren, bevor die Predigt zu Ende ist. Das bedeutet, dass, was der Schreiber der Handschrift betont: hier ist eine Linie sichtbar, die in die „postmoderne Religiosität“ führt.

Freimut Löser, Meister Eckhart – postmodern?

Das Referat, mit reichhaltigen Materialien ausgestattet, zeigte einerseits den Einfluss Eckharts auf die postmoderne Philosophie, andererseits die Herausforderung von Eckhart-Ausgaben am Beispiel der Pr. 9 und die Schwächen der klassischen Neutralisierung von Texten in den deutschen Werken (Josef Quint). Was das letztere betrifft, so wird eine Einbettung in den liturgischen Kontext, wie ihn die Handschriften durchaus bieten, als unerlässlich für das Verständnis gefordert. Der „postmoderne“ Fortschritt der Editionstechnik darf nicht an Eckhart Werk vorbeigehen.

Aber ist Meister Eckhart ein denkerischer Vorläufer der Postmoderne? Man kann seine Lektüre bei einer Reihe von postmodernen Philosophen aufspüren. Bekannt ist, dass er Dekonstruktionsmethoden vor Foucault und „durchgestrichenes Erhalten“ vor Derrida (Wie nicht sprechen? 1989) geübt hat. Alois Haas hat als interreligiös offener Mystik-Kenner postmoderne Ideen im „Wind des Absoluten“ (2009) gesammelt. Was also ist an Eckhart postmodern? Das Fragmentarische (Interesse nur für „nova et rara“)? Das „Anarchische“, ja Anti-Autoritäre? Oder lesen wir das hinein? Das Authoriale? Eckharts Betonung seiner Wahrheits-Kompetenz? Das Existentiale oder Post-Existentiale seiner „weiselosen“ Von-Sich-weg-lehre? Sprache als Sprachüberwindung? Die gedankliche und sprachliche Experimentierfreude? (Jetzt sage ich anders“). Es ist nicht schwer Spurenelemente zu finden, aber auch einen starken Kontrapunkt: keine Relativität der Wahrheit, Festhalten an einer zentralen Quelle der Offenbarung, Festhalten an der Zugehörigkeit zum etablierten Christentum, mit dem sich Eckhart an exaltierten Punkten selbst befragt und befragen lässt. Also kann man den postmodernen Eckhart nicht haben, ohne die Differenzen festzuhalten.

Das Schluss-Podium mit Gotthard Fuchs (Wiesbaden), Sr. Clemens Mendonca (Poona) und Karl Heinz Witte (München) dienst einerseits der Aufarbeitung von Verständnisfragen, andererseits der Pointierung von Eckhart als „Lebemeister“. Auf der psychologischen Ebene wurde hier besonders nachgefragt, um die „Offenheit“ Eckharts gewinnen, vor der eingangs die Rede war. Auf der Ebene des pluralistischen und toleranten Alltags, für das man in der indischen Vielfalt über die Erfahrungen des Austausches, Miteinander (aber auch Gegeneinander) verfügt, sieht man auch die interreligiöse europäische Zukunft, ohne Verlust der Ernsthaftigkeit. Aber dazu muss man sich auf diesen Diskurs, wie er hier geübt wurde, auch ernsthaft einlassen können und ihn, z.B. seitens der Kirchen, nicht aus der Zentrale an die Peripherie verweisen. Die bunte Versammlung, die bis zum Schluss ausharrte, zeigt sowohl die Bereitschaft für diese „Ernsthaftigkeit“ als auch die Bereitschaft, sich auf die Vielfalt der „Verästelungen“ einzulassen.

Sichtung des Ertrages:

  1. Im Sinne der eingangs formulierten Hypothesen wurde deutlich, wie sehr Meister Eckhart im „entanglement“, also im Austausch und in der Verflechtung von Europa und Asien eine Rolle spielt. Die Hypothese vom europäischen Eckhart-Export und vom asiatischen re-Import bedarf freilich weiterer Ergänzungen, z.B. im Hinblick auf die ost-westlichen Wege der Mystik im Altertum, im Hinblick auf den aktuellen Sufismus, im Hinblick auf die Geschichte der Theosophie zwischen West und Ost und im Hinblick auf den literarischen Austausch (etwa Hermann Hesse und Taghore u.a.m.)
  2. Die Interpretation Meister Eckhart gewinnt überraschend an Profil und Schärfe, wenn sie zusätzlich zu den historisch-kritischen Methoden der beteiligten Disziplinen von islamischer Mystik, von Bhakti-Texten und von Zen-Texten her beleuchtet wird. So zeigt das Referat von Zarrabi – in überraschender Parallele zu der Handschriften-Prüfung des Oxforder Germanisten Ben Morgan, dass die Konfrontation mit praktischen Interessen neue Pointen in der Eckhart-Lektüre setzt, die ihn noch stärker als „lebemeister“ wahrnehmen lassen. Die Bhakti-Lektüre der Maria-Martha Predigt (Annette Willke) zeigt die Pointe einer „werdenden“ Maria Magdalena auf (vgl. schon Mieth, 1969).
  3. Die Beleuchtung der nahen Texte „von ferne“ hat Eckharts theologisches Profil pointiert: in der Trinitätslehre (der Vergleich bei Enders mit Maimonides), in der Gnadenlehre (Tajimas Vergleich mit Zen) und in der Christologie (Uedas Analyse). In all diesen Fällen gibt es unbearbeitete theologische Probleme. Zum Beispiel: die Doppelung von „gratia increata und „gratia creata“, die Eckhart radikal zu beseitigen scheint, die Frage nach der „relatio subsistens“ in der Trinität und die Frage nach der Christologie als „Menschheitsmetapher“.
  4. Mit den neureligiösen Debatten und ihren Zügen eines Re-Imports hängt die postmoderne Debatte zusammen. Ben Morgan und Freimut Löser haben mit ihren genauen Analysen, jeweils mit einer anderen Perspektive, gezeigt, warum Eckhart hier auch im philosophischen und literarischen Gelände aktuell ist. Der interreligiöse Dialog begegnet so einer „westlichen“ Selbstbesinnung.
  5. Die wissenschaftliche Ausgabe Meister Eckharts weist angesichts der seit 1936 weiter entwickelten Editions-Praxis, aber auch angesichts der biblischen und liturgischen Einordnung der Predigten in den Handschriften, erhebliche Mängel auf. Hier sind zusätzliche Neuausgaben Meister Eckharts auf der Basis neuer Erkenntnisse und neuer Bedürfnisse dringend notwendig.