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Rencontre á Paris 1310

Treffpunkt Paris 1310 (2010 = 700 Jahre):

Marguerite Porete, Dante, Lullus et Eckhart

Professor Dr. Dietmar Mieth, Fellow am Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt, Am Hügel 1, 99081 Erfurt (Kollegforschergruppe "Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive")
Professor Dr. Ruedi Imbach, Sorbonne IV, Mittelalterliche Philosophiegeschichte, Paris
[s. Meister-Eckhart-Jahrbuch, Beihefte 3]

Zeit: Freitag, 28. Mai bis Sonntag, 30. Mai
Ort: Heinrich Heine Haus , Cité internationale Universitaire de Paris, 27 C, Boulevard Jourdan, F-75014 Paris (Das Haus liegt am Südrand der Cité Universitaire).
Tagungsleitung: Prof. Dr. Ruedi Imbach, Paris (derzeit Wissenschaftskolleg Berlin )
Kosten: Die Tagung wird gefördert von der Université Paris-Sorbonne (Paris IV) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). DAAD Reisekostenanträge sind möglich. Übernachtungen müssen in Hotels selbständig gebucht werden. Frühzeitige Reservierung wird empfohlen.
Folgende Hotels liegen in der Nähe der Cité Universitaire:
Hotel IBIS, Paris Port d´Orléans, 33 rue Barbès, F 92120 Montrouge, Tel. 0033 1 42 31 67 000, mail h0635@arcor.com.
Hotel Mercure , 13 Rue Francois Ory, F 92120 Montrouge, Tel. 0033 1 58 07 11 21.
Eine empfehlenswerte Möglichkeit in der Innenstadt:
Hôtel des trois collèges, 16 rue Cujas, F 75005 Paris, 0033 1 43 54 67 30, hotel@colleges.com.
Vom Quartier Latin zur Cité Universitaire (Heinehaus) gibt es eine direkte RER-Verbindung.
Voranmeldung: beim Max-Weber-Kolleg, Adresse s. oben, oder per Email bei dietmar.mieth[at]uni-erfurt.de oder ruedi.imbach[at]paris-sorbonne.fr.

Im Jahre 1310 wurde am 1. Juni in Paris die Begine Marguerite Porete als rückfällige Ketzerin auf dem Place de Grêve verbrannt. Inwieweit Marguerite, die aus Valenciennes stammte (geb. ca. 1250), zu diesem Zeitpunkt sich als Begine verstand, muss offen bleiben. Die Beginenbewegung, im 13. Jahrhundert entstanden, erfasste vor allem Mitteleuropa (Deutschland, Frankreich, Norditalien, Niederlande). Sie war ein weibliches Pendant zur Minoriten-Bewegung (Franziskaner, Dominikaner), die auch im Norden erfolgreich war, stand aber auch der zisterziensischen Frömmigkeit nahe. Die Besonderheiten der Beginen waren: die Beteiligung höherer gebildeter Kaufleute-Töchter sowie des Mittelstandes; die Verweigerung der Ehe mit zumindest dem zeitlichen Versprechen eines Lebens in Buße, Armut, Keuschheit und Gehorsam, die Verweigerung einer gemeinsamen Regel, welche die Kirche dann gern approbiert hätte, zugunsten der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung der einzelnen Hausgemeinden. Der Schutz der Beginenhäuser wurde durch die Städte garantiert. Die Zisterzienser und die Bettelorden stellten meist die geistliche Betreuung. Nach einem päpstlichen Erlass von 1281 konnten die Minoriten auch die Beichte abnehmen und beraten; erforderlich blieb die einmal jährliche Beichte beim Pfarrklerus. Franziskaner konnten zeitweise Stiftungen auf Beginen übertragen oder von diesen verwalten lassen, um das Armutsideal nicht zu gefährden.

Die Beginen werden als Quelle für eine Hochzeit mystischer Frömmigkeit und als Referenz für individualisierte religiöse Erfahrung (mit den drei Leitgestalten Hadewijch, Mechthild von Magdeburg und Marguerite Porete) herangezogen. Marguerite hat ein bedeutendes Buch verfaßt: "Le miroir des simples âmes", Der Spiegel der einfachen Seelen. Dieses Buch war sehr erfolgreich (in altfranzösisch, englisch, lateinisch, italienisch), eine Art mittelalterlicher Bestseller, mit dem sie freilich in die Hände der Inquisition geriet (wie später Eckhart, wenn auch in sehr unterschiedlicher Behandlung). Zunächst wurde ihr Buch (ca. 1305) in Valenciennes öffentlich verbrannt. Als Rechtsgrund für ihren Prozess (1308-1310) in Paris wurde die weitere Verbreitung des verbotenen Buches angegeben. Dabei muss man berücksichtigen, dass ihr Buch auch von drei Theologen, unter ihnen Eckharts Kollege Gottfried von Fontaines, positiv begutachtet war und dass sie möglicherweise – Einschübe in den Text legen das nahe – an seiner genaueren Erklärung arbeitete. Nach einem Musterprozess mit 21 theologischen Gutachten wurde sie selbst, weil sie nicht widerrief, sondern im fast zweijährigen Kerker und Prozess schwieg, vom Inquisitor Wilhelm von Paris, dem Beichtvater König Philipps IV. und Templerverfolger, als hartnäckige Ketzerin verurteilt. Da die Prozessakten vorhanden sind, ist der Vorgang historisch relativ transparent.

Teilweise wird in der Forschung vermutet, dass der Prozess gegen Marguerite beweisen sollte, dass Philipp allgemein scharf gegen Ketzer und nicht nur spezifisch gegen die Templer vorgehen ließ. Er soll damit dem Papst entgegen gekommen sein, nachdem die Disziplinierungsbemühungen der Kirche gegenüber dem Beginentum, dessen Begleitphänomene sie nach anfänglicher Förderung unter Verdacht stellten, nicht generell erfolgreich waren. Das Konzil von Vienne 1311 spiegelt diese Bemühungen, für die der Ausgang des Pariser Prozesses ein Zeichen gesetzt hatte. Dieses Zeichen richtet sich vor allem gegen die "Freigeisterei", von der wir freilich, wie so häufig bei Häresien, vor allem aus den verurteilenden Dokumenten etwas wissen.

Kurt Ruh hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich die "Brüder des freien Geistes" von Meister Eckhart absetzten. Meister Eckhart, den bestimmte Themen der geistigen Armut, der Seelenselbstvernichtung und des Wirkens ohne Worumwillen mit Marguerite unverwechselbar verbinden, hat möglicherweise nach seinem Pariser Lehr-Aufenthalt (1311-1313) u.a. seine Aufgabe darin gesehen (oder den Auftrag dazu erhalten), positive Elemente der religiösen Individualisierung aufzunehmen, sie in einen übergreifenden Horizont seiner Interpretation christlicher Lebenslehre einzuordnen, sie u. U. auch zu korrigieren. Dies geschah mit den Mitteln der volkssprachlichen Predigt, die ihm dann ihrerseits den Vorwurf einbrachte, dass er den Ungelehrten zuviel zumute.

Marguerites Schicksal haben berühmte Zeitgenossen in Paris beobachten können: Dante Alighieri, der auf der Flucht (Todesurteil in Florenz 1307) in Paris weilte; Raimundus Lullus (Ramon Lull) aus Mallorca, der berühmte Vertreter des jüdisch-christlich-islamischen Religionsdialoges. Paris, die berühmteste Universität des Mittelalters und zu diesem Zeitpunkt auch ein wichtiges Machtzentrum Europas, ist der Treffpunkt und der Spiegel des geistigen, politischen und inquisitorischen Prozesses. In deren Mittelpunkt steht die ungebeugte Gestalt einer Frau, einer literarisch und theologisch gebildeten Kaufmannstochter, die ihre eigene religiöse Erfahrung und Kompetenz gegen alle Druckmittel behauptete. Ihr Buch blieb, nicht ohne "damnatio memoriae" der Autorin, erfolgreich und fand sich noch in einigen Exemplaren bei einem Papst während des Basler Konzils (1436).

Freitag, 28. Mai 2010

12.30 Musée de Cluny, 6 Place Paul Painlevé, lecture de textes de Maître Eckhart et Marguerite Porète par l’association ‘Sorbonne sonore’, avec l’aide de Marie Bouhaïk-Gironès.
Anschliessend Museumsbesuch

Mittagsimbiss

15.00 - 16.15 Peter Walter (Freiburg),
"Vado Parisius, ubi sunt homines ualde sapientes". Lulls letzter Aufenthalt in Paris (1309-1311) und dessen Ertrag
16.15 - 17.30 Dietmar Mieth (Erfurt),
Geflügelte Motive und Leitbilder: Meister Eckhart liest Marguerite Porete
17.30 - 18.00 Tee & Kaffee
18.00 - 19.15 Ruedi Imbach (Paris),
Die Bedeutung der Armut im Denken Dantes
19.30 ev. gemeinsames Abendessen

Samstag, 29. Mai 2010

9.15 - 10.30 Franz-Josef Schweitzer,
Marguerite Porete und die Brüssler homines intelligentiae von 1410
10.30 - 11.45 Freimut Löser (Augsburg),
Eckhart von Paris, Beginen in Saxonia und Teutonia und die Laienbrüder in Österreich
12.00 - 13.30 Mittagessen
13.30 - 14.45 Andrés Quero-Sanchez,
Meister Eckhart und Gottfried von Fontaines über die Nichtigkeit der Kreatur
14.45 - 16.00 Julie Casteigt (Toulouse),
La doctrine de l’amour de Maître Eckhart
16.00 - 16.30 Tee & Kaffee
16.30 - 17.45 Burkhard Hasebrink (Freiburg),
Die Armutspredigt Meister Eckharts im Spiegel ihrer Überlieferung
17.45 - 19.00 Georg Steer (Eichstätt),
Die Adolescens-Predigt Pfeifer 37. Eine Predigtkompilation aus dem Umkreis der `Schwester Kathrei´
19.30 ev. gemeinsames Abendessen

Sonntag, 30. Mai 2010

9.00 - 10.30 William Courtenay (Madison),
Masters of theology at Paris in 1310 and the condemnation of Marguerite Porete
10.30 - 12.00 Marie-Anne Vannier (Metz),
L’essor des études eckhartiennes en France
12.00 Ende der Tagung

Link: Irmgard Kampmann, Im Nichts befestigt. Vor 700 Jahre starb Margarete Porete, die Autorin des "Spiegel der einfachen Seelen"

Das Tagungsprogramm begann am Freitag, 28. Mai 2010, um 12:30 Uhr mit einer öffentlichen Veranstaltung im Musée de Cluny, 6 Place Paul Painlevé, mit etwa 100 angemeldeten Gästen. Eine Theater-Studiengruppe der Universität Sorbonne IV, die diese Veranstaltung finanzierte, veranstaltete in der Reihe „L’Heure poétique“ des Museums eine „Lecture de textes de Maître Eckhart et Marguerite Porète“.
Der Eintritt ins Museum war für die Tagungssteilnehmer frei. Die Rezitation der Dialoge aus dem "Miroir des simples âmes" war ebenso bewegend wie die Rezitation zweier Predigten Eckharts auf französisch, wobei die rhetorischen Mittel beider Autoren sowie die Gemeinsamkeit von Motiven besonders zur Geltung kamen.
Zur Tagung gab es weiterhin eine Sendung mit Interviews im Deutschlandfunk.

Der erste Vortrag von Peter Walter (Freiburg i.Br.) über „Vado Parisius, ubi sunt homines ualde sapientes. Lulls letzter Aufenthalt in Paris (1309-1311) und dessen Ertrag“, schilderte Lulls verschiedene Parisreisen und ihre Intentionen, insbesondere seine Bewerbung der Muslime-Mission mit der Einführung arabischer Pflichtkurse in den Klöstern, ferner die Kreuzzugswerbung und schließlich beim letzten Besuch vor allem die Anerkennung seiner Schriften bei den Pariser Fakultäten. Unter den Scholastikern wirkte der eher höflich aufgenommene Lull, der sich mit Kritik am aristotelischen Rationalismus zu profilieren suchte, wie der autodidaktische Außenseiter, der er war. Man gewährte ihm eine Disputation am 10.2.1310, bei der aber vor allem die Artes und die Medizin vertreten waren. Audienzen beim König (2.8.1310) und beim Kanzler (9.11.1210) zeigten, dass der gut situierte Gelehrte über beste Beziehungen zu den Höfen in Mallorca, Aragon, Neapel und zum Papst verfügte. Er hat in Paris 37 Schriften, darunter mindestens 6 Dialoge, verfasst. Als jemand, der seinen eigenen Weg verfolgte, hat er sich mit der aktuellen Pariser Häresiebekämpfung nicht auseinandergesetzt.

Dietmar Mieth (Erfurt) beschrieb die „Geflügelten Motive und Leitbilder“, die Meister Eckhart und Marguerite Porete so verbinden, dass man einer literarischen Beziehung rechnet. Dies kann freilich nicht nachgewiesen werden. Wäre sie nach dem Prozess 1310 bei Eckhart ein Jahr später möglich gewesen, weil man unterstellen kann, dass Eckhart vom Großinquisitor Wilhelm von Paris im Kloster St. Jacques informiert worden ist, dann hätte man nur das Indiz, dass Eckhart immer mal wieder die Meinung der "luite" aufgreift und korrigiert. Dass er die Autorin zitiert, ist nach den dominikanischen Usancen nicht zu erwarten. Aber das oft zum Hindernis aufgeworfene Altfranzösisch kann man für jemanden, der wie Eckhart lange genug in Paris war, entschärfen. Auch die Querelen mit den Beginen in Paris, von denen Gilbert de Tournai (um 1280) berichtet, können ihm kaum verborgen geblieben sein. So spräche mehr dafür, dass er mit den geflügelten Motiven dieser Art früh bei seinen ersten Pariser Aufenthalten vor 1294 bekannt wurde. Die Parallelen beziehen sich vor allem auf Selbstvernichtung (Marguerite) und Abgeschiedenheit (Eckhart),auf die Kritik des Strebens nach Garantien durch religiöse Übungen, auf die Reziprozität in der prozessualen Einheit und vor allem auf das "vivre sans pourquoi" bei Marguerite, dem Eckharts "Leben âne warumbe" entsprechen könnte, zumal man diesen Passus bisher nur bei diesen beiden Autoren finden konnte. Die Differenzen zwischen beiden können leicht an Erkenntnis (Eckhart) und Liebe (Marguerite), aber auch an der Behandlung Maria und Martha aufgezeigt werden.

Ruedi Imbach (Paris), „Die Bedeutung der Armut im Denken Dantes“, hob vor allem die polemisch-politische Bedeutung des Armutsdiskurses hervor. Der "Karren" der Kirche durchläuft ein Drama in fünf Akten: 1. die erste Krise, die römische Christenverfolgung unter dem Sinnbild des Adlers; 2. die Krise der Häresie unter dem Sinnbild des Fuchses; 3. die Konstantinische Wende als Sturz des Adlers; 4. die innere Gefahr der Kirche in ihrem gegenwärtigen Sündenfalls als "reiche" Kirche, als "meretrix magna" (mit dem französischen König als "Zuhälter"); 5. die Kirche als das Ungeheuer nach Apk 17,1-18. Vor allem kritisiert wird der Simonismus, der Ämterschacher (vgl. die Höllengesänge, Inferno XiX, 9-117) und die Petrusrede in Paradiso 27. Franziskus, der die Authentizität Christi bezeugt, führt "la disputatione contra la richezze" an. Dantes kritische Ekklesiologie kann mit Marguerite Poretes "Kirche der Unfreiheit" ("l´église la petite") zusammen gesehen werden.

Franz-Josef Schweitzer (Düsseldorf), der den Samstag eröffnete, behandelte "Marguerite Porete und die Brüssler homines intelligentiae von 1410", also die Wirkung einhundert Jahre danach. Er konnte dabei einige Stereotypen der Bewegung des "freien Geistes" von 1310 bis 1410 aufzeigen. Die Frage der überlieferten Selbstauskünfte und der Zuweisungen durch Verhöre der Inquisition kann dabei nicht befriedigend geklärt werden. Einige dieser stereotypen Merkmale waren: die Zurückweisung der Askese; die Rechtfertigung leiblicher Bedürfnisse und sexueller Handlungen durch "Natur" sowie die Behauptung der Sündelosigkeit im Zustand der Einheit, ja sogar die Gleichgültigkeit des Zustandes "in inferno" und "in caelo".
Dies findet sich sowohl in den Sätzen der Straßburger Beginen von August 1317 als in Plus-Stücken zum Traktat "Schwester Kathrei", in Kölner Protokollen (1307,1335) als auch in Verhörprotokollen In Brüssel 1410. Die "cantinae et doctrinae" der Straßburger Beginen ließ Bischof Johann von Zürich in Straßburg verbrennen; die Verfolgung zog dann den Rhein hinunter zunächst nach Köln; spiegelte sich in den nachträglichen Zuweisungen verurteilter Sätze auf dem Konzil von Vienne und in den Beginenverfolgungen, z.B. in Erfurt und in Schweidnitz (Polen). Dieses Umfeld der Häresie-Formung hat sicher auch für Atmosphäre der Verurteilung Marguerites eine Rolle gespielt

Zwischenbemerkung (Mieth): Da die philologische Textsicherung bei Marguerite seit G. Haselohr und nach Robert E. Lerner nicht dahingehend geklärt ist, ob es Zusätze gab, die den Häresieverdacht milderten oder ob umgekehrt dieser verstärkt wurde, besteht hier noch eine Aufgabe, Marguerites "Häresie" genauer zu situieren, als dies die Aufzählung von Sätzen bisher erlaubt.

Freimut Löser (Augsburg) behandelte Eckhart vor und nach Paris, d.h. den frühen Eckhart einer ersten, von Löser aufgefundene Predigt mit ihren Bezügen zu den Reden der Unterweisung bzw. die darin schon auftauchenden Antworten auf die Beginenspiritualität, wie sie im „Occultus Erfordensis“ beschrieben wird. Er folgte der neueren Erkenntnis (Sturlese), dass viele von Eckharts Grundideen schon früh fassbar sind.
Die von ihm edierte "Salzburger Armutspredigt" kann man jedenfalls ebenso wie die "reden" mit dem "Occultus" in Beziehung setzen. Umgekehrt kann man in den Kölner Predigten nach Paris den Impuls feststellen, seine philosophische Konzeption des lateinischen Werkes durchzuziehen, aber auch um das Verständnis der Hörerinnen bemüht zu sein. In einer Handschrift des 14. Jahrhunderts findet sich ein Begarden-Gedicht, dem man ebenfalls entnehmen kann, welches religiöse Wissen in welcher Form zur Verfügung stand, auf die "luite", die Eckhart als fragende in seine Predigten aufnimmt, Einfluss hat.
Eckhart nach Paris kommt in seiner Kölner/Straßburger Zeit öfter auf Paris zu sprechen. Löser nennt eine Stelle aus den lateinischen Protesten Eckharts gegen die Anklage, in der dieser sich als niemanden gegenüber verantwortlich erklärt als gegenüber dem Papst bzw. der Universität Paris (LW V, 293 n.126). In den deutschen Predigten zitiert er mehrfach Pariser Schulstreitigkeiten, aber auch eigene Stellungnahmen in Predigt und Lehre. Dabei ist sowohl die Nähe von Paris als auch dessen Beutung spürbar, zugleich aber auch von Anfang an ein Vorbehalt gegenüber der bloßen Gelehrsamkeit.

Andrés Quero-Sanchez (Regensburg) zeigte an seinem Thema „Meister Eckhart und Gottfried von Fontaines über die Nichtigkeit der Kreatur“ auf, dass der von Marguerite u.a. als Zeuge ihres Werkes aufgerufene Gottfried dieses Werk zwar als aristotelischer „Realist“ durchaus kritisch gelesen habe, aber aufgrund seiner allgemeinen toleranten Einstellung zu Lehrfragen für einen bestimmten „usus divinus“ verträglich hielt (vgl. dazu die Theorien zum „homo divinus“ bei Sturlese 2007). Der Vortrag wies auf die Differenzen zwischen Gottfried und Eckhart hin, Quéro-Sanchez interpretiert Eckhart "idealistisch" und sieht in dieser Beziehung mehr an Übereinstimmung zwischen Marguerite und Eckhart. Während sich "Realisten" den Spiegel der Außenwelt vorhalten, setzen Idealisten das Sein in Gott, um es von dort abzuleiten. Das absolute Sein vor dem Werden bringt alles hervor, als im einzelnen Bestimmtes ist dieses "Nichts". Während Gottfried das Individuelle Sein-Können als Annäherungsweg im Auge hat, denken Eckhart und Marguerite das „Ist“ als Sollen-Sein. Marguerites wahres „Ist“ gehört in den anderen Zustand im Geliebten.

Julie Casteigt (Toulouse) untersuchte nun das Konzept „Liebe“ unter dem Titel „La doctrine de l’amour de Maître Eckhart“ zunächst anhand der Kritik durch die Theologen des „votum avenionense“, art. 26, §§ 101-105. Der Vorwurf des Votums lautet, Eckhart habe die Gleichrangigkeit von Gottes- und Nächstenliebe vertreten. Dies sei aber häretisch, weil man den Nächsten um Gottes willen lieben müsse. Eckharts Verteidigung mit Augustin und Thomas wird zurückgewiesen. Gott müsse, gerade nach Thomas, bevorzugt geliebt werden. Caseigt untersucht nun die Textstellen, auf die sich dieses Urteil und dieser Disput beziehen. Dabei wird Eckharts korrelative oder reziproke Sicht von Gottesliebe und Menschenliebe aus der Perspektive der Einheit sichtbar. Dies war aus der graduellen Sicht des Votums nicht nachvollziehbar. Für Eckhart war jedoch die Aussage über das Liebes-Eins ohne Graduierung auf der gleichen Ebene wie das "Gott ist Gott" (vgl. die dt. Pr. 65 und 67). Aufgrund ihrer Befestigung in anderen Zugangsweisen konnten sich die Gutachter von Avignon und Eckhart nicht verstehen.

Burkhard Hasebrink (Freiburg) behandelte „Die Armutspredigt Meister Eckharts im Spiegel ihrer Überlieferung.“ Die Armutspredigt ist in 17 Textzeugen überliefert. Sie nimmt Themen auf, die Eckhart schon in seiner Frühzeit in den "Reden" und einer frühen Predigt (vgl. Löser) behandelte. Eine neu entdeckte Berliner Handschrift verweist auf Erfurt. Hasebrink verweist auf die Neu-Edition der Predigt durch G. Steer in Bd. 1 der Lectura Eckhardi (1998). Er möchte in der Überlieferungsforschung den Interessen nachgehen, die sich aus Bearbeitungen erschließen lassen: es geht um die religiösen Wissensbestände, um die Paradigmen der Überlieferungs-Afiliationen, um den Status der Gattungen, um Texte, die vergleichsweise zur Verfügung stehen. Indem er die Eckhart-Sammlungen als Zeugen für die Überlieferung der Armuts-Predigt durchgeht, kann dieser erkenntnistheoretische Zugang zur Armutsradikalität besser situiert werden als durch die Überlegung, ihn als Antitext zu den Spiritualen oder als Vergleichgültigung des real armen Lebens zu lesen.

Bemerkung Mieth. In diesem Zusammenhang wäre es wichtig zu sehen, dass Eckhart in seinen Auslegungen „homo quidam erat dives“ in seinen Lateinischen und seinen deutschen Predigten das Wort „reich“ nicht pejorativ entfaltet.

Georg Steer (Eichstätt) fügte seinen Vortrag über „Die Adolescens-Predigt Pfeifer 37. Eine Predigtkompilation aus dem Umkreis der ‚Schwester Kathrei’“ in den Disput über die Unterschiede zwischen Meister Eckhart und mehr oder minder im häretischen Umkreis befindlichen Quellen ein. Er gewährte dabei einen Einblick in die Ausgabe dieser schon länger umstrittenen Predigt (als Nr. 113) in den DW. Er stellte dazu einander entsprechende Textauszüge aus Pr. 113 und aus der Schweitzer-Ausgabe zur „Schwester Kathrei“ aneinander gegenüber. Dabei trat er den Beweis an, dass die Predigt mit dem Sprachgebrauch in der "Schwester Kathrei" zusammenhänge und dass dieser Gebrauch bei Eckhart so nicht nachzuweisen sei, dass im Gegenteil Eckhart dafür auf andere Sprachgebräuche festgelegt und sie wiederholt in gleicher Form verwende (z.B. "man in der sele" statt, wie in Pr. 113, "man der sele"). Mit der Aufnahme der unechten Predigt in die Eckhartiana werde dokumentiert, dass man auch solche Texte zur Prüfung ediere. Mit seinem Vortrag verband Steer auch einen Überblick über die Vielzahl der „homo divinus“ Stellen bei Eckhart und darüber hinaus, sozusagen fortsetzend, in der „Theologia Deutsch“ .

Der Vortrag von William Courtenay (Madison) führte in die neuen Forschungsergebnisse hinsichtlich des Marguerite-Prozesses März-Frühjahr 1310 ein. Unter dem Titel „Masters of theology at Paris in 1310 and the condemnation of Marguerite Porete“ zeigte er, daß die Theologen, die hier vom Inquisitor Wilhelm von Paris herangezogen wurden, keineswegs ein Gutachten verfassten, sondern, handverlesen zusammengestellt, nur über 15 Thesen aus Marguerites Buch, ohne Quelle und Autorin zu kennen, urteilten. (Vgl. Anlage)

Bemerkung Mieth: Die Tagung übernahm mit der neueren Forschung (vgl. den Anhang) die Auffassung, dass es sich weder bei den von Marguerite am Schluss ihres Buches genannten Zeugnissen um "Gutachten" gehandelt habe, noch bei der Befragung von 21 Theologen zur Häresie von 15 Sätzen.

Marie-Anne Vannier (Metz) bot zum Abschluss der Tagung einen vorzüglichen Überblick über „L’essor des études eckhartiennes en France“. Die Reichhaltigkeit der Editionen, Übersetzungen, Dispute über biographische, geographische, begrifflich-enzyklopädische und philosophische Probleme wurde dabei sichtbar. Das Interesse ist dabei in der Breite mehr auf die deutschen Predigten bezogen. Die spirituelle Form und der Religionsdialog spielen dabei eine größere Rolle als die Einordnung in eine Geschichte der Subjektphilosophie.

Die deutsch-französische Tagung ging beinahe nahtlos in eine französisch-englische Tagung vom 31.5. bis 1.6. über, die in den erwähnten Anhang aufgenommen ist.

Die Voraussetzungen und die Schritte des Prozesses gegen Marguerite, wie sie Wilhelm von Paris, der Generalinquisitor mit Hilfe des königlichen Notariates im Frühjahr 1310 organisiert hat. (Nach William Courtenay, Paris, Vortrag am 30.5.2010, ferner Robert E. Lerner und Sean Field, Vorträge Paris 1.6.2010)

Voraussetzung (1): Der König versteht sich als „defensor fidei“. Er vertritt eine Art Cäsaropapismus für Frankreich. Wer Gott beleidigt, beleidigt den König. Dies ist vermutlich umkehrbar. Der König ist persönlich sittenstreng (auch gegen die Verfehlungen in seiner Familie) und fromm. Er ist von seiner Mission und seinen Zwecken überzeugt, aber der Zweck heiligt die Mittel. Also lässt er rücksichtslos und bedenkenlos durch seine Chargen handeln. Er selbst bleibt dabei im Hintergrund. Die Prozesse wie gegen Marguerite, Guiard oder gegen einen rückfälligen Juden waren vermutlich für ihn - auch für den Papst? - nur jurisdiktionell interessant.

Voraussetzung (2): Wilhelm von Paris OP verliert seinen Einfluss bei der Haupt- und Staatsaktion, dem Templerprozess. Er hat nicht erreicht, was er sollte. Die Templerprozesse laufen seit 1307, im Frühjahr 1310 fast an der da erst einsetzenden juristischen Verteidigung und am Widerruf vor päpstlichen Beauftragten gescheitert. Der Papst, Clemens V, erreicht 1308/09 die Umstellung der Prozessform: statt des königlichen Inquisitors sollen regionale Bischofskommissionen urteilen. Der König nutzt diesen Weg über Bischöfe wie Philipp de Marigny. Die sich der päpstlichen Jurisdiktion unterstellenden und ihre (Folter-)Geständnisse widerrufenden Templer werden unter Berufung auf die Regionalkommission als rückfällige Ketzer hingerichtet. (9. Mai)

Voraussetzung (3): Divide et impera. Alle Texte werden vom königlichen Notariat angefertigt und vorgelegt. Die nach ihrer Zustimmung gefragten, von Wilhelm zusammengestellten Gremien werden sorgfältig mit Namen aufgelistet („name dropping“), geben ihre Zustimmung aber nicht mit Brief und Siegel. In Bezug auf die Ressourcen, die Theologische und die Kanonistische Fakultät, sind sie nicht repräsentativ. (Courtenay und Lerner haben die Namen untersucht.) Während bisher die Sorbonne auch über eine dem Papst gegenüber (fast) gleichgewichtige Lehrautorität verfügte (darauf wird sich noch Meister Eckhart beziehen) ist das Ziel: totale königliche Kontrolle, um den gewünschten Effekt zu erzielen.

Erster Schritt, 3. März 1310: Wilhelm beruft ein Gremium von (handverlesenen) 11 Theologen und 5 Kanonisten. Er bittet um Rat, ob und mit welchem Ziel der ruhende Prozess gegen Marguerite fortzusetzen sei. Die Theologen, schon in der Templerfrage mit jurisdiktionellen Bedenken aufgefallen, betrachten sich nicht als für diese Entscheidung zuständig, die Kanonisten stimmen für das Eintreten in eine neue Phase. Verurteilung zu Kerker oder Schlimmeres sind als Alternativen noch offen. Es geht zunächst nur um die Person, die sich der Inquisition hartnäckig verweigert und um die möglichen Bestrafungsfolgen einer solchen Verweigerung.

Zweiter Schritt: 11. April 1310. Kurzfristig erbittet und erreicht Wilhelm eine Stellungnahme von 21 Theologen zu 15 lateinischen Sätzen ohne Quellenangabe. Die Theologen kenne also Name und Quelle nicht. Der Schriftsatz stammt aus dem königlichen Notariat. Unter den Theologen sind nur wenige Magister (4). Auch hier gilt: Name dropping im Protokoll des königlichen Notariats. Die Zustimmung wird ohne Brief und Siegel notiert.

Dritter Schritt: 9. Mai (Tag der Templerverbrennung!) Vorlage des Theologenprotokolls an die Kanonisten. Geschickte Zusammenführung der beiden Protokolle über die Prozessweiterführung und über die Häresie von Texten durch Wilhelm von Paris. Der Kunstgriff ist die Zusammenführung zweier bewusst unabhängig entstandener Dokumente. Die Frage: ewiger Kerker oder weltlicher Arm wird nun rein kanonistisch beantwortet: Auslieferung, d.h. Verbrennung als „relaspa“. Auch hier werden im Dokument die Namen (alle in ihrem Werdegang königliche Günstlinge) genannt, aber es fehlen Brief und Siegel. Man kann also nicht (wie oft bisher) von einer „Verurteilung“ Marguerites durch 21 Pariser Theologen sprechen.

Vierter Schritt: am 31. Mai wird die Verurteilung öffentlich (mit dem „rückfälligen“ Juden) auf dem Markplatz vor dem Hotel de Ville bekannt gemacht. Schrifttext wieder aus dem königlichen Notariat. Es gibt eine große Inszenierung unter Beteiligung von Bischöfen, Ministern, Ordensrepräsentanten u.a. mehr. Hinrichtung dann am 1. Juni, mit dem Juden an der Porte St. Antoine im Osten von Paris, nicht, wie oft angenommen, auf dem Marktplatz (Place de Grêve).

Die Frage nach dem Motiv? Starke königliche Regie. (Philipp als „Defensor Fidei“?) Lastet Erfolgsdruck auf Wilhelm von Paris, weil der Papst ihm die Templersache entzog? Symbolische Königspolitik oder erster Kraftakt der Dominikaner gegen die Beginen (Wehrli-Johns).

Zumindest nach heutigem Verständnis könnte man Marguerites Prozess und die Hinrichtung als Justizmord bezeichnen. Auch die damaligen rechtlichen Regularien machen den Prozess mehr als fragwürdig.

Marguerites Hauptthemen: Freiheit, Liebe, Gerechtigkeit, Frieden für das religiös suchende Individuum (die Seele), eingebettet in die Vision einer „großzügigeren“ Kirche.

Silvain Pirons Gliederungsvorschlag (2010, Paris):
I.Teil (1-123)
1. Prolog
2 - 92 Dialog zwischen Liebe und Verstand
93-118 Ergänzungen, Kommentare und Traktate, darunter:
103-105 Auch der Gerechte fällt
97, 112-116 Kommentare der Autorin
117 Böse und Gut
118 Sieben Zustände der Seele
119 Abschließende Entschuldigungen
120-122 Poetische Stücke
II. Teil: 123-139: Nachbetrachtungen für Gleichgesinnte.

Auszug aus Ch.5, p.55:
L´amour: Es gibt ein anderes Leben. Wir nennen es „Liebesfrieden“ und „Nicht-Leben (vie annéantie)… Man kann es finden in:
I einer Seele,
II die sich durch Glauben und nicht durch Werke rettet,
III die sich allein in der Liebe aufhält,
IV die nicht tut wegen Gott,
V die nicht unterläßt wegen Gott,
VI die man nicht belehren kann,
VII der man nicht s nehmen kann,
VIII noch geben,
IX und die keinen Willen mehr hat.
Sie will nichts durch Vermittlung, denn sie sucht die Theologie (science divine) nicht unter den Magistern dieser Welt.

Dietmar Mieth, 4.-7. Juli 2010